Die H-Mode und die Patienten-Karte
Claus O. Köhler
Ältere unter uns werden sich noch an die H-Mode erinnern, Hauptmerkmal - glatt abwärts. Die H-Mode hatte damals ein Bonmot hervorgebracht, das immer wieder verwendet wird, wenn mann etwas deutlich machen will: 'Die H-Mode täucht etwas vor, indem sie es verbirgt, was gar nicht vorhanden ist.' - Den Busen nämlich. Was hat der Busen, bzw. das Bonmot mit der Patientenkarte zu tun? Mit der Karte nichts, aber mit der Argumentation einiger Juristen und Datenschützer.
Der Spiegel hat sich in seiner Ausgabe Nr. 21 d.J. über die Krankenversichertenkarte dieser Technik des Vortäuschens sogar angenommen, was er nicht oft in den 40 Jahren, in denen ich jetzt den Spiegel regelmäßig lese, gemacht hat. Auch Spiegel-Lesen will gelernt sein, oft kommt es auf die Art an, wie es geschrieben ist. Bei diesem Artikel war aber - verständlicherweise - dem Redakteur die Sache offensichtlich nicht ganz geheuer, denn er hat mit einer Menge von Zitaten gearbeitet, was in dieser Häufigkeit für den Spiegel schon sehr außergewöhnlich ist.
Was täuschen denn nun die Juristen vor, indem sie es verklausuliert mit vielen Phrasen darzustellen versuchen? Den Zusammenhang zwischen der durch Gesetz und Verträge (zwischen KBV, KZBV und Verbänden der Krankenkassen geschlossen) eingeführten Krankenversichertenkarte (KVK) und einer in Ideen vorhandenen Patientenkarte, gegen die sie dann vehement - als Moralapostel der Nation gegen das Unmoralische, gegen den Busen - zu Felde ziehen.
Gegen die KVK hat man nur schwer etwas einzuwenden, es wäre auch schon fast lächerlich, denn deren Inhalt ist kaum mehr als das, was schon im Telefonbuch steht. Man höre und staune, neuerdings ist sogar die Geschlechtsangabe des oder der Versicherten zusätzlich aufgenommen worden - was für ein Sakrileg eines zu schützenden Datums ist damit nun wieder gebrochen worden?
Da man sonst offensichtlich zu wenig zu schützen hat, zaubert man hier jetzt das Kaninchen aus dem Hut, um es dann unter dem Jubel der Fachwelt sofort zu killen und anschließend unter andächtigem Staunen der Laienwelt mit allem gebotenen Pomp zu Grabe zu tragen - den Busen - Verzeihung, die Patientenkarte. Diejenigen, die das größte Interesse an diesem Problem haben (bei der H-Mode die Männer) nämlich die Patienten, hat mal wieder keiner gefragt. Unser Gesundheitswesen würde sowieso am besten funktionieren, wenn es keine Patienten gäbe. Ärzte- und Krankenhausverbände, Krankenkassen und Ministerien sind inzwischen so gut strukturiert, groß und mächtig geworden, daß sie auch ohne Weiteres ohne die Patienten eine Wirtschaftsmacht und ein bedeutender politischer Faktor wären. Vorausgesetzt natürlich, die Mitglieder der Kassen zahlen brav ihre Beiträge und die Mediziner bekommen daraus das ihnen Zustehende - zum Glück gibt es aber auch noch viele 'Ärzte'.
Das aus dem Hut gezauberte Kaninchen ist die Aufbohrung der KVK mit welchen auch immer so wichtigen medizinischen Daten. Bis die 'Fachwelt' sich darüber einig ist, welche der ach so vielen, nicht standardisierten, nicht strukturierten und nicht einmal definierten medizinischen Daten denn wohl so auf diese Karten aufgenommen werden sollen, haben noch Generationen von Juristen die Spielwiese der Abwehrschlachten völlig für sich allein. Die Mitarbeit der Deutschen an der international weltweit betriebenen Definierung medizinischer Nomenklatur ist nämlich vor einigen Jahren wegen lumpiger 200.000 DM p.a. eingestellt worden. Das stellt sich jetzt als äußerst positiv heraus. Einen derartigen Weitblick hätte man der damaligen Gesundheitsministerin (oder war es gar ein Minister?) nicht zugetraut.
Eigentlich sollte man diesen Pseudoangriff überhaupt nicht infragestellen. Es hält nämlich die 'Moralwächter' vielleicht doch davon ab, sich um die wirklich wichtigen noch im Hut verborgenen Tiere aller Art zu kümmern, nämlich um - die Hüften in der H-Mode und was sonst da so dran hängt - die 'richtigen' Patientenkarten. Diese braucht der Patient - insbesondere der chronisch kranke Patient - (und nicht der Versicherte). Da man zum Glück Patienten (im Gegensatz zu Versicherten) nicht per Verordnung oder per Gesetz erzeugen kann (schön wär's, oder?), kann man auch keine Patientenkarte per Gesetz, Verordnung oder andere Vereinbarungen 'einführen', was immer auch das Wort 'Einführung' bedeuten mag.
Laßt uns wieder ernst und ehrlich diskutieren, die H-Mode hat sich schließlich auch sehr schnell überlebt. Laßt uns zugeben, daß die von der H-Mode versteckten und/oder vorgetäuschten weiblichen Merkmale zumindest anerkannt werden (um es sehr vorsichtig zu verklausulieren). Laßt uns mit den Patienten und ihren Ärzten über ihre erst einmal sehr 'speziellen' Karten diskutieren, die sie nach 'richtiger' Aufklärung auch sicherlich haben wollen. Eine Karte mit einer gesamten Krankengeschichte als Inhalt ist Zukunftsmusik, aber sicher eine anzustrebende Zukunftsmusik - auf freiwilliger Basis. Niemand darf mich zwingen, z.B. Stockhausen anzuhören, aber ich würde sehr hart dafür kämpfen, daß man ihn nicht verbietet. So hat einmal die Demokratie angefangen. Sollte man sich vielleicht doch einmal rückbesinnen? |